Bislang lag die Grenze für die Anordnung einer Medizinisch-Psychologische-Untersuchung (MPU) bei 1,6 Promille. Nur wer mit einer höheren Alkoholisierung erwischt wurde, musste im Regelfall vor Wiedererteilung der Fahrerlaubnis die MPU bestehen. Nun kann diese Untersuchung schon ab 1,1 Promille verlangt werden, sofern die Polizei beim Alkoholsünder keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner ganz aktuellen Entscheidung (BVerwG, 17.03.2021 – 3 C 3.20) entschieden.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Nach einer Trunkenheitsfahrt, bei der die Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille ergeben hatte, verurteilte ihn das Strafgericht wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) und entzog ihm die Fahrerlaubnis.

In der Folge beantragte der Kläger bei der beklagten Stadt Kassel die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Die Stadt forderte ihn, gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung der Frage beizubringen, ob er trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch ein Fahrzeug sicher führen könne und nicht zu erwarten sei, dass er ein Kraftfahrzeug unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde. Der Kläger legte das geforderte Gutachten nicht vor, weshalb die Beklagte seinen Neuerteilungsantrag gestützt auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ablehnte.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht Kassel abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof das Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, die beantragte Fahrerlaubnis ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zu erteilen.

Das BVerwG hat das Berufungsurteil geändert und die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen.

Gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV durfte die Beklagte, so das Bundesverwaltungsgericht, auf die Nichteignung des Klägers schließen, da er ihr kein positives medizinisch-psychologischen Gutachten vorgelegt hatte. Sie hatte von ihm auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu Recht die Beibringung eines solchen Gutachtens gefordert. Nach dieser Regelung ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung einer Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen.

Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne liegt vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts steht § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV der Anwendung der von der Beklagten herangezogenen Regelung nicht entgegen. Aus dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und c FeV lässt sich nicht entnehmen, dass dem Buchstaben c eine „Sperrwirkung“ in dem Sinne zukommt, dass bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille und Anhaltspunkten für eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung ein Rückgriff auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ausscheidet. Bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, besteht eine erhöhte Rückfallgefahr.

Die Giftfestigkeit führt u.a. dazu, dass der Betroffene die Auswirkungen seines Alkoholkonsums auf die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen kann. Deshalb liegt in dem Umstand, dass der Betroffene trotz eines bei seiner Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug festgestellten hohen Blutalkoholpegels keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen aufwies, eine aussagekräftige Zusatztatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c Alt. 2 FeV. Dieser zusätzliche tatsächliche Umstand rechtfertigt auch mit Blick auf den Buchstaben c, der demgegenüber allein das Erreichen von 1,6 Promille genügen lässt, die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung ausgegangen werden, wenn der Betroffene bei seiner Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr aufwies. Außerdem muss festgestellt und dokumentiert worden sein, dass er dennoch keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zeigte. Diese Voraussetzungen waren im Falle des Klägers erfüllt.

Für Betroffene kann es im Grenzbereich zwischen 1,1 bis 1,6 Promille künftig durchaus Sinn machen, wenn Polizei und Arzt festhalten, dass der Betroffenen deutlich unter Alkoholeinfluss stand.

Für Fragen steht Ihnen unsere Fachanwältin für Verkehrsrecht zur Verfügung.

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