OLG Stuttgart weicht Handyverbot auf
Der § 23 Abs. 1a StVO bestimmt Folgendes:
„Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist“.
Früher lautete die Vorschrift hingegen:
„Dem Fahrzeugführer ist die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons untersagt, wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält“.
Aus dieser sprachlichen Umformulierung der Norm (diese erfolgte im Rahmen der Genderisierung) zieht das Oberlandesgericht Stuttgart in einer aktuellen Entscheidung (OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.04.2016 – 4 Ss 212/16) weitreichende Konsequenzen.
Sachverhalt & Entscheidung
Der Betroffene fuhr mit einem Pkw im Straßenverkehr und hielt sein Mobiltelefon in der rechten Hand, während er über die Freisprechanlage telefonierte. Nach seiner Einlassung hatte er das Telefonat bereits vor Fahrtantritt begonnen. Nach dem Start des Motors hatte sein Mobiltelefon über Bluetooth mit der Freisprecheinrichtung eine Verbindung hergestellt, so dass das Telefonat über diese Anlage fortgeführt worden war.
Nach der Verbindung mit der Freisprechanlage hatte der Betroffene vergessen, das Gerät abzulegen. Gegen den Betroffenen wurde ein Bußgeldbescheid erlassen, gegen welchen dieser Einspruch eingelegt hatte.
Das zuständige Amtsgericht Backnang hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 02.12.2015 wegen „fahrlässigen Benutzens eines Mobiltelefons mittels Halten des Mobiltelefons während der Fahrt“ eine Geldbuße von 60 Euro festgesetzt.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der „Rechtsbeschwerde“, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel wurde vom OLG Stuttgart als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ausgelegt und zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zum Freispruch des Betroffenen, weil die Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen.
Begründung des OLG Stuttgart
Zur Begründung führt das OLG Stuttgart aus, dass ein Kraftfahrzeugführer, der während der Fahrt ein mit einer Freisprechanlage verbundenes Mobiltelefon in der Hand hält und über die Freisprechanlage telefoniert, nicht gegen das Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen gemäß § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO verstößt, solange er keine weiteren Funktionen des in der Hand gehaltenen Geräts nutzt.
Nach Ansicht des Stuttgarter Gerichts gebietet eine solche Auslegung bereits der eindeutige Wortlaut des § 23 Abs. 1a StVO und entspricht zudem dessen Zweck.
Das Amtsgericht hat den Wortlaut des § 23 Abs. 1a StVO bei seiner Auslegung überdehnt. In seiner aktuellen Fassung erfasst die Norm nicht mehr die Benutzung jeglicher Mobilfunkgeräte, die der Fahrer hält, sondern bezieht sich nur auf Geräte, die zur Benutzung gehalten werden müssen.
Bis zu der Fassungsänderung war obergerichtlich hinreichend geklärt, dass unter „Benutzung“ im Sinne der genannten Vorschrift jegliche Nutzung der möglichen Funktionen eines Mobiltelefons zu verstehen ist, bei der das Gerät in der Hand gehalten wird. An dieser am damaligen Wortlaut orientierten Auslegung der Norm kann infolge der sprachlichen Neufassung, nach der sich das Verbot nur noch auf Geräte bezieht, die zur Benutzung in der Hand gehalten werden müssen, nicht mehr in vollem Umfang festgehalten werden.
Der Benutzung einer Freisprecheinrichtung wohnt gerade inne, dass beide Hände für die eigentliche Fahraufgabe zur Verfügung stehen. Die Verwendung eines Mobiltelefons über Bluetooth ist also keine „Benutzung“ im Sinne von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO, wenn der Fahrzeugführer dazu den Telefonhörer nicht aufnehmen oder halten muss.
Ein solches Verständnis der Verbotsnorm entspricht – so das OLG Stuttgart weiter – auch dem Zweck der Regelung. Mit der Einführung der Verbotsnorm des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO wollte der Verordnungsgeber zwar gewährleisten, dass der Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobil- oder Autotelefons beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgabe frei hat. Nach der amtlichen Begründung zur Einführung dieser Vorschrift darf ein Fahrzeugführer das Mobil- oder Autotelefon daher nur benutzen, wenn er dazu das Telefon oder den Hörer nicht aufnehmen oder halten muss.
Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Untersuchungen erlassen worden, wonach sich durch die Benutzung einer Freisprecheinrichtung während des Telefongesprächs sowohl die Unsicherheitsfehler als auch die Fahrfehler im Vergleich zu einem Gespräch ohne Freisprecheinrichtung um mehr als 50 % reduzieren lassen.
Die mentale Überlastung und Ablenkung des Fahrers resultiert daher aus dessen Doppelbeanspruchung. Eine solche ist dann gegeben, wenn der Fahrer während der Fahrt sein Mobiltelefon als Telefon, aber auch als Organizer, Internetzugang oder Diktiergerät verwendet, da diese Tätigkeiten eine erhöhte Konzentration erfordern. Das bloße Halten eines Mobiltelefons begründet demgegenüber kein eigenständiges Gefährdungspotential.
Hierfür spricht maßgeblich, dass der Verordnungsgeber die Benutzung anderer Geräte oder die Vornahme sonstiger Tätigkeiten, die es bedingen, dass nicht beide Hände für die eigentliche Fahraufgabe zur Verfügung stehen (z.B. Bedienung des Radiogerätes, Rauchen, Verzehr von Speisen und Getränken), nicht ebenso verboten hat.
Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, der eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Konstellationen rechtfertigen würde. Im Übrigen entspricht dies auch dem Willen des Verordnungsgebers, wonach die Bestimmung des § 23 Abs. 1a StVO offensichtlich verhindern will, dass der Fahrer in einer Hand einen Gegenstand hält, den er nicht ohne weiteres schnell loslassen kann.
Im konkreten Fall führte der Betroffene das Telefonat über die Freisprechanlage. Das Telefonat begann er vor Fahrtantritt. Nach dem Starten des Motors hat sein Telefon (selbsttätig) über Bluetooth eine Verbindung mit der Freisprecheinrichtung des Fahrzeugs hergestellt. Das Telefonat wurde sodann über diese Anlage fortgeführt.
Das Telefon musste damit vorliegend für den Kommunikationsvorgang nicht gehalten werden. Damit ist die tatbestandliche Bedingung, wonach hierfür das Mobiltelefon „aufgenommen oder gehalten werden muss“ dem Wortlaut nach jedenfalls nicht erfüllt. Dem steht nicht entgegen, dass der Betroffene das Mobiltelefon tatsächlich in der Hand gehalten hat. Dies hat sich vorliegend gerade nicht auf den Kommunikationsvorgang ausgewirkt.
Das Halten des Geräts begründet deshalb über den Telefonvorgang hinaus kein relevantes eigenständiges Gefährdungspotential.
Die Entscheidung des OLG Stuttgart zeigt, dass gerade im Bereich des Bußgeld- und Ordnungswidrigkeitenrechts eine Befassung mit der aktuellen Rechtsprechung für eine erfolgreiche Vertretung der Mandanten unabdingbar ist.
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